„Für viele Menschen ist zu viel schon selbstverständlich geworden.“ So lautet ein Spruch und leider steckt so viel Wahrheit darin. Momentan müssen wir, wegen Corona, allerdings alle schmerzlich feststellen, dass viele Dinge, die wir als selbstverständlich betrachtet haben, gar nicht so selbstverständlich sind.
Plötzlich ist alles anders
Leider muss ich gestehen, dass ich am Anfang zu der Sorte Menschen gehört habe, die die ganzen Nachrichten rund um den Coronavirus nicht wirklich ernst genommen haben. Natürlich war mir bewusst, dass er in China großen Schaden anrichtet, aber irgendwie wollte ich wohl nicht wahrhaben, dass er uns genauso treffen kann.
Panikmache habe ich gedacht. Ich meine, wer glaubt denn auch daran, dass ein Virus mal diese Ausmaße bei uns annehmen könnte? Ich tatsächlich nicht. Andere Szenarien hätte ich für viel wahrscheinlicher gehalten. Doch ich wurde eines besseren belehrt. Die Fälle häuften sich und plötzlich wurde aus dem Wort Panikmache, ein vielleicht habe ich auch ein bisschen Angst.
Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass es ein schleichender Prozess war. Während andere Länder um uns herum, schon weitaus drastischere Maßnahmen ergriffen haben, ging bei uns doch noch alles irgendwie seinen normalen Gang. Irgendwie war das beruhigend und irgendwie aber auch beängstigend. Ich habe mir nicht mal wirklich Sorgen um mich selbst gemacht, sondern viel mehr um meine Familie, um Freunde und Bekannte, die vielleicht doch schwerer getroffen werden könnten.
Und dann war plötzlich alles anders. Die KiTa konnte meinen Sohn nicht mehr betreuen. In den Geschäften hatte man das Gefühl irgendjemand hätte die ganzen Regale geplündert. Und die Nachrichten von Todesfällen in Deutschland häuften sich.
Vermissen
Ab einem gewissen Punkt gehörte ich nicht mehr zu den Menschen, die alles nicht ernst nahmen, sondern eher zu denen, die Verständnis für die Maßnahmen hatten. Also handelten wir danach. Wir blieben größtenteils Zuhause. Nur noch einer von uns ging Einkaufen. Unser Sohn wurde von uns betreut, was mit unserer Arbeitssituation zum Glück sehr gut ging. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie belastend diese Situation für die Menschen sein muss, die deswegen Arbeitsplätze verlieren, in Kurzarbeit geraten und ähnliches.
Doch je länger man natürlich Zuhause ist, desto mehr merkt man, was einem doch fehlt. Und es ist erstaunlich auf wie vieles man eigentlich verzichten kann. Dinge, von denen man vorher dachte, dass man sie unbedingt braucht, sind total unnötig. Plötzlich wird einem bewusst vor Augen gefühlt, was man im Leben wirklich braucht.
Familie, Freunde, Soziale Kontakte. Das sind alles Dinge für die es keinen Ersatz gibt. Zum Glück leben wir in Zeiten, in denen Videochats und ähnliches möglich sind, doch auch das ist kein Ersatz für die Nähe zu Menschen, die man sich herbei sehnt. Und das ist auch genau das, was es mir Woche zu Woche schwerer macht.
Auch die Kleinen leiden
Mein Sohn ist ein sehr aufgeweckter, vierjähriger Junge. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dass er diese ganze komische Zeit so gut mitmacht. Doch auch wenn er lächelt, auch wenn er Spaß hat mit Mama und Papa, so merke ich, dass er einfach immer unglücklicher wird.
Ihm fehlen seine Freunde, ihm fehlen seine sportlichen Aktivitäten im Verein, ihm fehlt es einfach mal so auf einem Spielplatz zu toben. Er versteht warum er auf all das momentan verzichten muss, doch das macht es ihm nicht leichter. Vor allem fehlt ihm seine Familie, die er neben uns hat. Omas, Opa, Tankten, Onkel. Gerade, weil wir schon immer ein sehr enges Verhältnis mit regelmäßigen Besuchen hatten, fehlt ihm das natürlich.
Leider glaube ich, dass einige manchmal vergessen, dass auch die Kleinen bereits Probleme damit haben können, ihre Emotionen zu verarbeiten. Schlimmer noch: Manchmal wird glaube ich vergessen, dass auch Kinder überhaupt Empfindungen haben, die denen der Erwachsenen ähneln. Ich höre so oft, dass es Zeit wird, dass die Betreuung wieder anfängt, weil man einfach mal wieder Ruhe braucht. Und natürlich kann ich diesen Gedanken absolut nachvollziehen. Ich habe ihn selbst manchmal. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch die Kinder sich vermutlich wünschen, dass sie bald wieder in den Kindergarten oder in die Schule gehen dürfen, um mit ihren Freunden zusammen zu sein.
Angst
Nun ist es soweit: Es geht in die ersten Lockerungen. Manche Schüler dürfen wieder zur Schule. Die Spielplätze öffnen langsam wieder. Immer mehr Geschäfte haben wieder auf. Und natürlich freut einen das irgendwie, denn es bringt uns wieder einen Schritt näher Richtung Normalität. Doch irgendwie bin ich mir noch nicht sicher, ob mich das freuen oder beunruhigen soll.
Sind wir vielleicht zu früh mit all den Lockerungen? Was passiert, wenn uns in ein paar Monaten wieder so eine Welle mit Neuinfektionen trifft und wir diese ganze Situation von Neuem starten müssen? Wäre es da nicht sinnvoller wenn wir jetzt noch einmal ein paar Wochen durchhalten, um dann wieder mehr auf der sicheren Seite zu sein?
Ich weiß es nicht. Ich bin total im Zwiespalt. Auf der einen Seite habe ich Angst, dass es zu früh ist. Auf der anderen Seite verstehe ich, dass es auch Menschen gibt, die Angst haben, wenn wir jetzt nicht langsam wieder in einen „normaleren“ Alltag starten. Gerade auch was den finanziellen Aspekt angeht. Es ist einfach schwierig.
Was kommt danach?
Um ehrlich zu sein befürchte ich tatsächlich eine Krise nach der Krise. Gerade was die Wirtschaft, Arbeitsplätze und alles angeht. Ich glaube, dass wir da noch einen weiten Weg vor uns haben, bis alles wieder in geregelten Bahnen verläuft.
Allerdings erhoffe ich mir von dieser momentanen Phase auch etwas Positives. Für mich jedenfalls wird es eine positive Entwicklung haben. Mein ganzes Denken hat sich ein wenig verändert. Mein Denken über die Dinge, die wirklich nötig sind oder eben nicht. Mein Konsumverhalten zum Beispiel wird auf jeden Fall anders sein. Auch was Nachhaltigkeit und Umweltschutz angeht, wird sich hier bei uns noch einiges verändert.
Aber das Wichtigste ist wohl, dass ich die Zeit, die ich mit meiner Familie und meinen Freunden verbringen kann, noch viel mehr zu schätzen wissen werde. Ich war zwar schon immer ein Mensch, der die Bedeutung von gemeinsamer Zeit, ziemlich ernst genommen hat, aber dennoch hat das jetzt noch einmal an Intensivität zugenommen.
Denn wenn mich diese Situation eines gelehrt hat, dann dass wir die Dinge, die wir für selbstverständlich halten, schneller verlieren können als uns lieb ist.